FOTO HITS Magazin

6/2020
2020
Magazin

Verlag: BetterNet GmbH.

Maße: 21 x 29,7 cm

Seiten: 130
€4.90

KEIN MÄRCHEN

Katerina Belkina führt in eine Märchenwelt, die sie jenseits von Disney-Kitsch oder Psychoanalyse ansiedelt. Wichtig ist ihr eine rätselhafte Bildstimmung, die Raum für Verwandlungen zulässt. Sie erzählt, wie die Serie rund um Grimms Märchen mithilfe von Außenaufnahmen und Photoshop entstand.

Bei den Werken Belkinas bestätigt sich die Erkenntnis: Eine Künstlerin muss zahllose Wege gehen, um an deren Ende ein Meisterwerk zu schaffen. Das hat sie mit ihren Märchenfiguren gemeinsam. Nachdem sie sich unverdrossen durch einen Dornwald kämpften, haben sie nicht nur ihr Schicksal, sondern auch sich selbst verändert.

Die Fotografin kann auf eine solide akademische Ausbildung zurückblicken. Wichtiger ist aber, dass sie viele künstlerische Stile ausprobierte: In ihrer ersten bekannten Serie inszenierte sie sich als Frauenfiguren in Gemälden von Lukas Cranach bis Egon Schiele, wobei sie deren Malweise fotografisch perfekt nachbildete. In einem weiteren Projekt übernahm sie Anleihen aus dem Sozialistischen Realismus und westlicher Werbesprache.

In ihrem aktuellen Zyklus rund um die Erzählungen der Gebrüder Grimm finden sich wiederum allerhand Verweise auf die Landschaftsmalerei der Romantik: Panoramen im Stil von Veduten, im Historismus beliebte Rundbilder (Tondos) und natürlich ländliche Idyllen.

All ihr Wissen musste Belkina in kurzer Zeit abrufen. Denn ihr Preis bei den Hasselblad Masters 2016 in „Fine Art“ war nicht nur eine Hasselblad H5D samt drei Objektiven, sondern schloss auch ein, dass ihr Hasselblad ein dreimonatiges Projekt finanzierte. Das klingt großzügig, doch für eine Fotoserie ist die Zeit sehr eng bemessen. Immerhin musste sie Kostüme schneidern, Requisiten anfertigen, die Aufnahmeorte festlegen und die Models auswählen.

Dass Belkina erfolgreich war, verdankt sie keiner Hexerei. Die Zauberformel lautet: künstlerisches Gespür und Vielseitigkeit.

„Cut Lilies“. Im Märchen von den zwölf Brüdern stehen sie sinnbildlich für den Tod der Geschwister. Doch natürlich wird alles gut und die Brüder werden von ihrer Rabengestalt erlöst.

 



DIE PROFIFOTOGRAFIN IM INTERVIEW

 

FOTOHITS: Manche Fotografen werfen einer Montage vor, sie sei „nur“ Photoshop. Was antworten Sie?

Katerina Belkina: Es gibt den Glauben, Photoshop hätte magische Knöpfe, die jedes Foto besser machen. Tatsächlich benutze ich dessen Pinselwerkzeug wie das echte Vorbild. Es fehlen zwar der Geruch und Farbpigmente, aber die Handbewegungen und das Gefühl bleiben gleich.

FOTOHITS: Sie hätten den Märchen sogar einen Disney-Look verpassen können. Warum verzichteten Sie darauf?

Katerina Belkina: Die Bilder zu den Märchentexten entstehen zuerst im Kopf, allerdings greifen wir auf Illustrationen oder Filme zurück. Ich wollte vermeiden, dass meine Werke bestimmte Stereotype wiederholen. Das betrifft nicht nur die Gestaltung, sondern auch bekannte Szenen: Aschenputtel verliert den Schuh, Schneewittchen beißt in den Apfel. Ich fokussierte auf die Grundidee: Ein Charakter bewegt sich von A nach B, wobei es weniger um einen geografischen als einen emotionalen Weg geht, auf dem sich die Person verändert. In der modernen Welt kommt dies zu kurz: Alle sind vernetzt und reisen, doch niemand kommt wirklich innerlich zuhause an.

FOTOHITS: In Märchen geht es tatsächlich immer um existenzielle Veränderungen: allein gelassene Kinder, der Wegzug in die Fremde …

Katerina Belkina: Daher nannte ich die Serie auch „Dream Walkers“, also Schlafwandler. So ähnlich bewegen wir uns, wenn wir Lösungen für unsere Probleme finden wollen. Dementsprechend wählte ich die Landschaften, in denen sich die Charaktere bewegen. Entscheidend ist dabei weniger der eine magische Moment, sondern eine Atmosphäre, in der sich alles verändern kann. Diese ist nicht an einen fernen Ort gebunden, sie kann direkt in unserem Lebensumfeld entstehen. Landschaften sind wie Märchen zeitlos: Berge und Felder bleiben. Daher ist es einfach, wie in einer Zeitmaschine eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen.

FOTOHITS: Befanden sich die gewählten Hintergründe in Ihrer Umgebung?

Katerina Belkina: Da meine Tochter etwas älter als ein Jahr alt war, konnten wir ohnehin nicht weit reisen. Alle Aufnahmeorte durften also nur zwei bis drei Stunden entfernt liegen. Beispielsweise fuhren wir in die wundervolle sächsische Schweiz. Glücklicherweise hatte es gerade geschneit, und für eine kurze Zeit konnten wir eine schöne Lichtsituation nutzen. Außerdem hatte ich nur drei Monate, um das Projekt fertigzustellen. Doch konnte ich als Models auf Freunde und Bekannte zurückgreifen. Da in Berlin so verschiedenartige Menschen leben, half das wieder, Stereotypen zu entgehen. Es steht schließlich nirgends geschrieben, dass Frau Holle deutscher Herkunft sein muss.

FOTOHITS: Ihre Werke erinnern stark an die Malerei der Romantik. Stilistisch, da sie naturgetreu, aber idealisiert erscheinen. Inhaltlich wiederum spiegeln die Landschaften Seelenzustände wider. War das eine bewusste Entscheidung?

Katerina Belkina: Ein Künstler bedient sich aus dem Fundus in seinem Kopf wie aus Kartons. Letztlich geht es ihm darum, sich auszudrücken. Der Denkprozess dreht sich eher darum, wie unter anderem die Bildelemente gruppiert werden.

FOTOHITS: Haben Sie die Komposition mit Skizzen vorgegeben?

Katerina Belkina: Ja. Das Problem war, dass die Lichtverhältnisse schnell wechseln. Das Foto musste also beispielsweise innerhalb einer halben Stunde gemacht werden. Einerseits muss ich hierbei fokussiert sein, andererseits flexibel. Dabei rechne ich ein, dass sich das Model wie eine Schauspielerin erst einmal in diese Vorstellungswelt einlebt. Im Fall von „Die drei Männlein“ hieß das allerdings auch, im Erzgebirge bei Minusgraden in einem Papierkleid herumzulaufen.


Bild links: „Die drei Spinnerinnen“. Sie eilen einer faulen Spinnerin zuhilfe, die zudem für immer von der Plackerei erlöst wurde.
Bild rechts: „Rosamund“. Dahinter steht der Klassiker rund um Dornröschen, das sich mit der Spindel stach.


„Whisper“. Hier ist Frau Holle gedoppelt. Schließlich verteilt sie Segen oder Fluch über die Artigen oder Unartigen.


Bild oben links: "The Blessing". Auf den warten Aschenputtel und ihre Schwestern, doch nur eine erhält ihn. Die Komposition erinnert in vielen
Details an eine ländliche Szene aus der Romantik.
Bild unten links: „The Spell“ aus dem Märchen „Die Kristallkugel“. Eine Hexe verwandelt ihre Söhne in einen Adler und einen Wal.
Bild oben rechts: „Die Vorhersage“: Die drei Männlein im Walde versprechen dem verstoßenen Mädchen, dass es täglich schöner wird, ihr beim Reden

Goldstücke aus dem Mund fallen und ein König sie heiratet.
Bild unten rechts: „Trinity“.


 

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